Der Heldenhund von Holland

Die Statue des Heldenhundes auf dem Dorfplatz von Scharendijke wurde am 3. Februar 2023 eingeweiht. Geschaffen hat sie die Künstlerin Miems van Citters. Sie hat den Hund noch persönlich gekannt. Die Statue hat sie aufgrund von Fotos aus dem Familienalbum und aus ihrer Erinnerung geschaffen.

 

Foto: Daniela Rinderknecht

2. Der Helden-Bläss bekommt eine Statue: Scharendijke (NL)

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Scharendijke liegt rund 40 Kilometer südwestlich von Rotterdam auf der Insel Schouwen-Duiveland und gehört zur niederländischen Provinz Zeeland. Die Bläsz-Statue steht auf dem Bethlehemplein, dem neu gestalteten Dorfplatz von Scharendijke. Dieser wird vom markanten Glockenturm der Bethlehemskirche dominiert, der wie ein Leuchtturm von weit her sichtbar ist.


Die Statue auf dem neu gestalteten Dorfplatz von Scharendijke

Scharendijke, 23. Juni 2023
Mein Mann und ich sind die einzigen, die in Scharendijke aus dem Bus aussteigen. Die vielen Velofahrer*innen, die auf der Hauptstrasse an uns vorbei radeln, zweigen nicht Richtung Bethlehemsplatz ab. Sie zieht es zum Touristen-Hotspot Brouwersdam, wo ein dreitägiges Musikfestival stattfindet.

 

Der Helden-Bläss ist nicht schwer zu finden. Wie ein Leuchtturm weist uns die Kuppel der Bethlehemskirche den Weg. Etwas verloren steht die kleine Statue am Rand des grossen, neu gestalteten Dorfplatzes. Der Blick des Hundes wirkt traurig, wie wenn es ihn betrüben würde, dass er nicht noch mehr Kühe retten konnte.

Dabei ist Bläsz, wie er auf Niederländisch geschrieben wird, in Holland ein Held. Während der Flutkatastrophe von 1953 rettete der zweijährige Rüde während zwei Tagen Dutzende von Kühen und Kälbern vor dem Ertrinken, gemäss Inschrift auf dem Sockel der Statue waren es exakt 45 Stück. In Wirklichkeit waren es wohl noch mehr.

 

Auf dem Dorfplatz, der unter der Junihitze schmort, können wir uns nur schwer vorstellen, dass es damals Winter und eisig kalt war.

Der Turm der Bethlehemskirche am Dorfplatz von Scharendijke.

Die Bläsz-Statue auf dem Bethlehemplein (Dorfplatz) in Scharendijke.


Foto mit dem Helden-Bläss

Wir sind die einzigen bei der Statue, und der Bethlehemsplatz, der zum neuen Dorfmittelpunkt von Scharendijke werden soll, wirkt wie ausgestorben. Als wir unsere Fotos machen, sind nur vereinzelte Fussgänger*innen unterwegs, und es dauert, bis wir jemanden ansprechen können, der ein Bild von uns beiden machen kann. Der ältere Herr, offenbar ein Einheimischer, ist bereits im Weggehen begriffen, als er sich nochmals umdreht und uns auf Englisch fragt, ob wir wüssten, was es mit der Statue auf sich habe. Wir deuten auf unsere Appenzeller-T-Shirts und erklären, dass wir eigens wegen des Helden-Bläsz’ (niederländische Schreibweise) aus der Schweiz angereist seien.

Es dauerte ziemlich lange, bis wir jemanden antrafen, der ein Bild von uns mit der Statue machen konnte. Der einheimische Fotograf brachte die Appenzeller auf unseren T-Shirts offenbar nicht mit dem Heldenhund in Verbindung.


Von Bauernhöfen und weidenden Kühen keine Spur

Der Bethlehemsplatz, auf dem die Bläsz-Statue steht, befindet sich weitab vom Deich und vom Meer. Auch scheint sich das Dorf  in den vergangenen 70 Jahren stark verändert zu haben. Es  besteht aus lauter neueren Häusern. Von Bauernhöfen und weidenden Kühen keine Spur, als wir uns im Dorf weiter umsehen. Auf der Hinfahrt im Bus haben wir jedoch auf den teilweise überfluteten Wiesen viele Rinderherden und vereinzelt auch Schafe gesehen. Als wir auf dem Deich in Richtung Brouwersdam laufen, entdecken wir bloss einen kleinen Hof, auf dem ein paar Ziegen und Hühner gehalten werden.

Die Dorfstrasse von Scharendijke, an der sich auch ein paar Restaurants befinden, wirkt zwar schön herausgeputzt, aber auch etwas verschlafen. Die meisten Lokale öffnen erst am Abend. Auf dem hohen Deich, auf dem man vom Jachthafen bis zum Brouwersdam laufen kann, sind nur wenige Spaziergänger*innen unterwegs. Das am Grevelingenmeer gelegene Dorf mit seinen knapp 1300 Einwohner*innen ist heute bei Wassersportler*innen sehr beliebt. Gleich drei gesunkene Schiffe in Schwimmdistanz vom Ufer machen Scharendijke zu einem Hotspot für Wrack-Taucher*innen.


Der Deich bei Scharendijke, der die Dörfer am Grevelingenmeer vor Überflutungen schützen soll. Nach der Flutkatastrophe von 1953 wurde er verstärkt und erhöht.

Der Deich bei Scharendijke von der Wasserseite her gesehen. Von diesem Steg aus brechen die Taucher*innen zu den Wracks auf.

Blick von der Deichkrone auf die darunter liegende Strasse. Hier sieht man gut, wie tief gelegen das Land bei Scharendijke ist.

Fotos: Daniela Rinderknecht


Wie Bläsz zum Helden wurde

Bläsz wurde 1951 zusammen mit drei Geschwistern in Burgh, einer im Landesinneren gelegenen Gemeinde südwestlich von Scharendijke, geboren. Seine Eltern waren Bläss und Frisch, die Albert van Citters (1905–2008) aus Wildhaus (Schweiz) in die Niederlande mitgebracht hatte. Dieser war inzwischen Bürgermeister von Burgh und hatte fünf Kinder, u.a. Miems van Citters, die Schöpferin der Bläsz-Statue. Der Rüde Bläsz wurde an den Bauern Flip de Jonge in Scharendijke verkauft.

 

Zum Zeitpunkt der Flutkatastrophe von 1953, in den Niederlanden als «Watersnood» (Hochwasserkatastrophe, Überschwemmung) oder «de Ramp» (Katastrophe) bezeichnet, war Bläsz zwei Jahre alt. Als sein Hof überflutet wurde, öffnete der Bauer Flip de Jonge die Stalltüre und schnitt die angebundenen Kühe frei. Er hoffte, dass sie sich auf den höheren Deich retten würden, aber sie rührten sich nicht von der Stelle. Da kam Bläsz zum Einsatz. Der zweijährige Rüde schwamm durch das eiskalte Wasser zum Stall und trieb die Kühe auf den Deich hinauf. Das Wasser war so tief, dass nur noch die Köpfe der Kühe und Kälber herausragten. Da sein lautes Gebell nicht ausreichte, um das Vieh in Bewegung zu bringen, musste Bläsz sogar tauchen und es in die Beine und den Schwanz beissen.

 

Am ersten Tag der Katastrophe rettete Bläsz schätzungsweise 45 Kühe und Kälber vom Bauernhof seines Besitzers. Einen Tag später brachte er Dutzende weiterer Rinder eines Nachbarn ins Trockene. Er arbeitete bis zur Erschöpfung im eiskalten Wasser.

Inschriften auf dem Sockel der Statue:

Die Flutkatastrophe vom Februar 1953 wird in den Niederlanden «Watersnood» (Hochwasserkatastrophe, Überschwemmung) oder auch «de Ramp» (Katastrophe) genannt.

Frei übersetzt bedeutet dieser Text: «Der Appenzeller Sennenhund Bläsz bellte 2 Tage lang seinen Treiber-Gesang.» Das finde ich eine sehr poetische Beschreibung des Gebells eines Appenzellers! In der Schweiz wird der Appenzeller wegen seiner Qualitäten als Treibhund auch «Triiberli» (Treiber) genannt.

Und so wird die Heldentat von Bläsz beschrieben:

«Er scharte die Deichrinder (Kuh und Kalb) um sich und trieb sie durch das kalte Salzwasser die Deiche hinauf.» Neben dem Wort «Vee» (Vieh) ist etwas kleiner noch angegeben, wie viele es genau waren: 45 Stück.

Die Kuh, die in den Fluten zu ertrinken droht, steht symbolisch für die 45 Tiere, die Bläsz gerettet hat.

 

Fotos: Daniela Rinderknecht


«Wir gaben ihm Kartoffeln mit Sauce zur Gewichtszunahme.»

Miems van Citters, Künstlerin,

damals 16 Jahre alt

Bei der Familie van Citters in Burgh wurde der erschöpfte Hund dann wieder aufgepäppelt. Die Künstlerin Miems van Citters, die damals 16 Jahre alt war, erinnert sich: «Er war sehr dünn und auch ein wenig niedergeschlagen.»


Die Flutkatastrophe von 1953: Was wirklich geschah

Die Flutkatastrophe von 1953, in den Niederlanden und Belgien als «Watersnood» (Hochwasserkatastrophe, Überschwemmung) oder «de Ramp» (Katastrophe) bezeichnet, gilt als die schwerste Sturmflut in der Nordsee im 20. Jahrhundert. In der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 1953 traten gleichzeitig eine ausgeprägte Springflut und ein schwerer Sturm aus Nordwest auf. Dies führte dazu, dass der Pegel bei Hoek van Holland auf 3,85 Meter über dem Nullpunkt stieg, bei Brouwershaven, dem Nachbarsort von Scharendijke, auf 4,25 Meter, in Vlissingen auf 4,55 Meter und in Kruiningen gar auf 5,25 Meter.

 

Die Deiche brachen und das dahinter liegende Land, das rund 4 Meter tiefer als die Deichkrone liegt, wurde komplett überflutet. Man muss sich das mal vorstellen: Scharendijke liegt nur 20 Zentimeter über dem Meeresspiegel!

 

Betroffen waren nicht nur grosse Teile der niederländischen Küste, sondern auch der britischen sowie der belgischen Küste. In den Niederlanden kamen dabei mehr als 1800 Personen und 50'ooo Tiere ums Leben. Der grösste Teil davon in der Provinz Zeeland, in der auch die Insel Schouwen-Duiveland mit Scharendijke liegt. Im Vereinigten Königreich und in Belgien gab es ebenfalls Tote. Insgesamt kamen bei der Flutkatastrophe 2408 Menschen ums Leben.

 

Der letzte beschädigte Deich bei Ouwerkerk auf Schouwen-Duiveland konnte erst im November 1953 repariert werden. «De Ramp» war der Auslöser eines grossangelegten Hochwasserschutzprogramms in den Niederlanden, dessen vollständige Umsetzung bis 1997 dauerte. Die Küste wurde durch Hunderte Kilometer neuer, viel höherer Deiche befestigt und die Mündungen von Maas und Schelde mittels Sperrwerken von der See abgeriegelt. Die Kosten des mit rund 2,7 Milliarden Euro veranschlagten Projekts fielen am Ende mehr als dreimal so hoch aus.

Seit dem Bau der Dämme, welche die südwestlich von Rotterdam gelegenen Inseln miteinander verbinden und gegen die Nordsee abschliessen sind sie streng genommen keine Inseln mehr.

Wasserstandsanzeiger an einem Haus in Zierikzee (an der Südküste von Schouwen-Duiveland gelegen), auf welchem der Pegelstand von 1953 (de Ramp) markiert ist.

 

Foto: Daniela Rinderknecht


Den meisten Kühen kam jedoch kein Helden-Bläss zu Hilfe. Sie ertranken elendiglich in den Fluten. Jan Kappetijn, der damals 15 Jahre alt war und in Rotterdam lebte, erinnert sich:

 «Es gibt ein Industriegebiet in Rotterdam-West beim Schie-Kanal. Da war ich mit meinem Freund oft unterwegs zum Feuerchen machen und so. Monate nach der Katastrophe (de Ramp) habe ich gesehen, wie mit Binnenfahrtschiffen tote Kühe angeführt wurden, die wohl in der Müllverbrennung in Rotterdam entsorgt wurden. Es waren Hunderte! Ganze Ladungen voll.»

«Mit Schiffen wurden tote Kühe angeführt, die wohl in der Müllverbrennung in Rotterdam entsorgt wurden. Es waren Hunderte! Ganze Ladungen voll.»

Jan Kappetijn,

damals 15 Jahre alt


«Zwar hat der Helden-Bläss, wie ihn die Künstlerin sieht, keine grosse Ähnlichkeit mit dem Appenzeller Sennenhund, wie wir ihn heute kennen. Doch je länger ich die Statue anschaue, desto lieber bekomme ich sie.»

Daniela Rinderknecht,

Redaktorin swiss-blaess.ch


Der Film über die Katastrophe

In der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 1953 waren die fünf Kinder von Albert van Citters allein zu Hause in Burgh. Er und seine Frau Ida waren zu Verwandten auf dem Festland gefahren. Bei ihrer Rückkehr fanden sie zehn Tote im Schulhaus von Burgh vor, aber ihre Kinder waren glücklicherweise nicht darunter.

 

In der Folge betätigte sich Bürgermeister Albert van Citters als erfolgreicher Krisenmanager. Zusammen mit seiner Frau filmte er zwischen Februar und Juni 1953 auf seinen Erkundungstouren an verschiedenen Orten auf Schouwen-Duiveland und dokumentierte somit das Ausmass der Katastrophe und die Wiederinstandstellungsarbeiten in seiner Region.

 

Das Video von Albert van Citters Film kann auf Youtube angeschaut werden.


Kein Happy End für den Heldenhund

Nach seiner heroischen Rettung war Bläsz eine Berühmtheit in den Niederlanden. Königin Juliana schüttelte ihm bei ihrem Besuch in Burgh die Pfote. Die Amerikaner überreichten ihm eine hohe internationale Auszeichnung, die sonst nur Menschen bekommen. «Ehrenhund 1953, Held der Flutkatastrophe in den Niederlanden, hat viele Leben gerettet, präsentiert von der Huntingdon Dog Club Inc. New York USA», war auf dem Sockel der Statue eingraviert. Mehr als diese Auszeichnung soll Bläsz aber die Leberwurst interessiert haben, die es dazu gab.

 

Fans aus der Schweiz schenkten ihm zudem ein reich verziertes Appenzeller-Halsband.

 

Leider war dem Heldenhund kein sehr langes Leben beschert. Zwei Jahre nach seiner Heldentat (1955) wurde der erst vierjährige Bläsz von einem Traktor überfahren.

«HONOR DOG 1953, Hero of Netherlands Floods, saved many lives, presented by Huntingdon Dog Club Inc. New York U.S.A.»

Inschrift auf der Statue des

Huntingdon Dog Club Inc.

New York


Festliche Einweihung der Statue

Am 3. Februar 2023 wurde die Statue von Bläsz in Anwesenheit der Künstlerin Miems van Citters, einer Delegation des Appenzeller-Sennenhonden-Vereins aus den Niederlanden sowie des versammelten Dorfes feierlich enthüllt. Der Gemeinderat findet es wichtig, dass die Geschichte der Flutkatastrophe von 1953 und des Hundes Bläsz weitergegeben wird. Nicht zuletzt hofft man aber, dass das Dorf künftig nicht nur Tauch- und Segelsportlerinnen ein Begriff sein wird,  sondern auch mehr Wanderer, Radfahrerinnen und andere Touristen angelockt werden. Denn im Gegensatz zu den viel bekannteren Tourismusdestinationen Brouwersdam und Bruinisse, die ebenfalls an der Nordküste von Schouwen liegen, fristete Scharendijke bisher eher ein stiefmütterliches Dasein.

Die Delegation des niederländischen Appenzeller-Sennenhonden-Vereins bei der Einweihung der Bläsz-Statue vom 3. Februar 2023 (Bild oben).

 

Foto: Jurgen de Korte

 

Bläss besucht Bläsz

Inzwischen haben noch mehr Appenzeller Freundinnen und -Freunde aus der Schweiz und den Niederlanden die Bläsz-Statue besucht, u.a. auch Mitglieder des Schweiz. Clubs für Appenzeller Sennenhunde SCAS CSBA.

 

Wenn du die Statue ebenfalls besucht hast, dann lass es uns wissen und sende uns das Foto mit deinen Angaben an blaess@appenzeller-sennenhunde-club.ch!

Daniela Rinderknecht im Juni 2023 im «Prinz»-T-Shirt des SCAS.

Rolf Etter im Juni 2023 im «Prinz»-T-Shirt des SCAS.

Cornelia Biedermann mit Rosie im Juni 2023.

Urs Hürlimann im Mai 2023.

Die Niederländerin Marjolein de Korte

mit Dösti bei der Einweihung der

Statue am

3. Februar 2023.


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